Der Galenstock und das Hotel Belvédère

Für unseren Sommer-Bergurlaub suchen wir uns für gewöhnlich eine gut machbare Eingehtour auf einen mittelhohen 3000er aus. Diesmal ist unsere Wahl auf den Galenstock gefallen, einen Gipfel mit klangvollem Namen in den Urner Alpen. Unsere Anreise erfolgt über den Furkapass. Wir sind noch auf der Suche nach einem Quartier und fragen auf der Passhöhe nach einer Möglichkeit. Im Kopf haben wir aber noch das altehrwürdige Hotel Belvédère direkt am Ausgangspunkt für die Bergtour, die am kommenden Tag erfolgen soll. Daher fahren wir vom Pass noch gerade zur Haarnadelkurve der Furkapass-Straße, wo sich die Touristen tummeln, um gegen ein geringes Entgelt in den Rhône-Gletscher eintreten zu können. Hier steht auch das Belvédère.

Wir betreten das Hotel. Viele Gäste - wohl aus den Bussen, die auf dem Parkplatz stehen - sitzen im Restaurant. Wir finden die Rezeption und schon nach kurzer Zeit widmet eine Frau ihre Zeit unserem Anliegen. Wir erkundigen uns, ob ein Doppelzimmer für eine Nacht frei ist. Sie bejaht und wir fragen nach dem Preis, woraufhin sie uns fragt, ob wir ein Zimmer mit oder ohne Aussicht auf das Rhône-Tal haben wollen. Wir überlegen kurz, dass wir die bessere Aussicht ohnehin am nächsten Tag vom Galenstock haben werden, weshalb wir uns für ein Zimmer ohne Aussicht entscheiden, was preislich sicher günstiger ist.

Mit der Kenntnis der Nummer des angewiesenen Zimmers begeben wir uns in das obere Stockwerk und öffnen die Türe. In der Tat, ein altehrwürdiges Hotel, denn wir fühlen uns eher an ein Heimatmuseum erinnert, denn an ein Hotelzimmer. Ein Wandspiegel liegt auf dem Boden. Dunkles Holz und ein kleines Fenster lassen das Zimmer im Dunkeln. Die Betten sind nach alter Väter Sitte gefertigt - ein Federbett mit einer dünnen Matratze. Wir legen unsere Sachen ab und ich schließe die Zimmertüre. Mir fällt auf, dass der Schlüssel fehlt. Nun, vielleicht gibt es den unten, denke ich, und gehe nochmal zurück. Von der Frau an der Rezeption keine Spur mehr. Ich gehe in den Restaurant-Bereich und finde einen Kellner, den ich kurz frage, ob er mir den Schlüssel geben kann. Er fragt nach der Zimmernummer, die ich ihm nenne, woraufhin er in schallendes Gelächter ausbricht, sich dann doch wieder fasst und mich rhetorisch fragt, ob die Chefin uns ein Bediensteten-Zimmer gegeben hat! Dafür gäbe es keinen Schlüssel. Na ja, die Chefin weiß anscheinend ihren Gewinn zu maximieren.

Wir belassen es bei dem fehlenden Schlüssel, denn die Chefin wird auch nicht mehr gesehen. Den Nachmittag verbringen wir mit einer Erkundungstour auf dem Rhône-Gletscher, um am nächsten Morgen im Dunkeln keine unnötige Zeit zu verlieren. Um dem Bezahltourismus an der Gletschergrotte zu entgehen, kraxeln wir dazu einfach bergseitig am Souvenirladen und dem Gatter vorbei.

Am Abend beschließen wir im Hotel zu essen. Wir bestellen das Tagesmenü, wozu es eine Suppe geben soll. Der schon bekannte Kellner sagt uns leise, die Suppe vom Menü sei nicht mehr gut und wir sollten besser eine andere auswählen. Was die ganzen Gäste am Mittag wohl gelöffelt haben... Das Essen selbst bleibt uns nicht weiter in schlechter Erinnerung. Doch die Atmosphäre im Restaurant wirkt etwas befremdlich. Denn inzwischen sitzen die Bediensteten und der Kellner in einer Ecke und schlürfen fleißig vergorene Flüssigkeiten, was sehr zu deren Erheiterung führt. Mit Nachbestellungen unsererseits, z.B. ein zweites Glas Rivella, halten wir uns zurück, denn inzwischen fühlen wir uns eher störend in der geselligen Atmosphäre. Aber wir müssen ja ohnehin früh zu Bett, weil wir wieder früh aufstehen wollen.

Mit dem Frühstück ist das immer so eine Sache, wenn es sehr früh auf Tour gehen soll. Wir können gerne darauf verzichten, die Beherbeger meist umso weniger, denn einerseits wollen sie einem das Frühstück verkaufen und andererseits auch nicht Geld für ein nicht in Anspruch genommenes Frühstück kassieren. So läuft es dann häufig auf ein sogenanntes Thermo-Frühstück hinaus, bei dem alles schon am Vorabend vorbereitet wird. So auch im Belvédère.

3 Uhr nachts, der Wecker klingelt, schnell sind wir angezogen. Die Sachen in die Tasche geschmissen und es geht zum Thermo-Frühstück. Die knarzende Treppe geht es herunter und wir finden einen Lichtschalter. Ach, hier sollen wir anscheinend frühstücken - wir befinden uns an der Rezeption. Ein kleiner Tisch steht mitten im Raum, offensichtlich für ein Frühstück zu Zweit gedeckt. Eine Glühbirne ohne Lampenschirm hängt von der Decke - sie hat maximal 20 Watt. Vielleicht auch besser so.

Wir setzen uns. Thomas dreht seine Kaffee-Tasse um, die auf dem Kopf steht. Mit noch müden Augen erkennt er dunkle Ränder in der Tasse. Er zweifelt erst an seiner Sehfähigkeit angesichts der frühen Stunde und der schummerigen Beleuchtung. Um seine Befürchtung zu überprüfen, geht er in die Gästetoillette und spült die Tasse. In der Tat lassen sich die Ränder unter fließendem Wasser leicht entfernen. Es war eine ungespülte Kaffeetasse. Sollten bereits andere vor uns hier gefrühstückt haben? Nein, denn der Rest vom Tisch sieht frisch aus.

In der Schweiz gibt es meist klein abgepackten Schmelzkäse, kleine Marmelade-Döschen und harte Butter zu leidlich gutem Brot als Frühstück. Das sind wir gewohnt. Thomas trifft es nun aber ein zweites Mal. Beim Versuch, sich den Schmelzkäse auf das Brot zu schmieren, muss das Brot nachgeben, denn der Käse ist hart wie Stein. Wie kann es dazu kommen? Wir erklären uns, dass es halt statistisch gesehen kein Wunder ist, dass ein solcher Schmelzkäse im Frühstücksbetrieb eines Hotels schon mal ein paar Jahre alt werden kann, wenn er immer wieder zwischen Vorratskorb und Frühstückstisch hin- und herwandert. Denn die kleinen Packungen tragen kein Haltbarkeitsdatum.

Das waren auch schon unsere kleinen Erlebnisse im Hotel Belvédère am Furkapass und wir müssen den Ort lustiger Begebenheiten leider verlassen, um den Gipfel des Galenstocks anzugehen. Die Tour gestaltet sich ohne größere Probleme und wir erreichen als Erste an diesem Tag den höchsten Punkt. Der Blick reicht weit hinweg über das Belvédère in Richtung zu den hohen 4000er-Zielen im Südwesten und entschädigt uns für das nicht ganz gelungene Randprogramm.

Daniel Roth, erlebt im August 2000